Veranstaltung in deutscher Lautsprache | Eintritt: Ticketkauf erforderlich | barrierefreier Zugang
Im Rahmen der neuen Diskussionsreihe FORUM am Staatsballett Berlin gehen eingeladene Gesprächsteilnehmende an drei Abenden einer kritischen Auseinandersetzung zu den Begriffen “Schönheit”, “Gewalt” und “Erinnerung” nach. Auf dem Podium wird im Gespräch überlegt, inwieweit diese Begriffe in den Künsten im Verhältnis zur Wahrnehmung von Ereignissen und Gefühlen stehen. Der zweite Abend widmet sich dem Begriff “Gewalt” in Darstellungspraktien von Tanz und Kunst.
So vermittelt eines der Schlüsselwerke der europäischen Tanzmoderne nicht nur neue Formen der Kunst, sondern auch Darstellungsformen von Gewalt: Im Stück Le Sacre du printemps (1913), einer Auftragsarbeit der Pariser Oper, choreografiert von Vaslav Nijinsky und komponiert von Igor Strawinsky, wurde durch den Opfer-Tanz Gewalt und Sterben auf der Bühne inszeniert. Der Premierenabend löste Publikumsgewalt in Form von Buhrufen und Beschimpfungen aus. Die einwärtsgedrehten Füße und Körperbewegungen in der Choreografie wichen für das ästhetische Empfinden der damaligen Zuschauenden zu stark von Körperbewegungen und Körperkonzepten im Ballett ab: dem Auswärtsrotieren der Füße und tanzen in sanften Farben und feenhaften Kostümen.
Auch die tänzerische Interpretation der Choreografie im Sacre verlangt, Grenzen zu überschreiten. Davon berichtete nicht nur Bronislava Nijinska, Tänzerin und Schwester Nijinskys. Auch Tanzende, die auf staubigem Torfboden Pina Bauschs Version des Frühlingsopfers (1975) umsetzen, erzählen von einer unerbittlichen Härte der Musik in Verbindung mit Choreografie und mise-en-scène.
Nicht selten begegnen Tänzer*innen ihrem Körper mit Formen von Gewalt, wenn sie sich Bewegungsabläufen widmen, die etwa Gelenke oder Muskeln belasten. Schmerzen signalisieren Grenzen und Verletzungen sind Zeugen dieser Gewalt, so Sacha Males, Tänzer am Staatsballetts Berlin und Gesprächspartner dieses Abends. In der Ausbildung, wie auch hinter der Bühne oder vor der Kamera müssen Berufstanzende einen Umgang mit den Grenzen der eigenen Verletzlichkeit finden. Lässt sich ein gerissenes Kreuzband kitten? Wer tritt mit Fieber auf die Bühne? Wann zeigt die Kamera zu viel Körper?
In welcher Weise Gewalt eine Aufmerksamkeit im Moment ihrer Antizipierung, im Vollzug sowie im Nachwirken verlangt, analysierten Schreibende wie der jüdische Schriftsteller und Philosoph Walter Benjamin. Sein Essay Kritik der Gewalt (1921) stellt unter anderem die Frage nach dem Stellenwert und Wirkungsgrad sittlicher Mittel von erzieherischer Gewalt. Die Kulturtheoretikerin Iris Därmann blickt in ihrem Buch Undienlichkeit: Gewaltgeschichte und politische Philosophie (2020) auf Weltordnungen stiftende wie erschütternde Ereignisse, Haltungen und politische Entscheidungen. Die Autorin Carolin Emcke publiziert und diskutiert kontinuierlich Konstellationen und Theorien von Gewalt in der Gegenwart. Ein Verstehen von Ursachen, Folgen und Formen der Unterbrechung von Gewalt ist eine wesentliche Voraussetzung für die gewaltfreie Auseinandersetzung mit Konflikten im menschlichen Zusammensein. Sie beginnt bei Körpern.
Das FORUM "Gewalt" lädt ein, sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu widmen. Im Gespräch sind:
Sacha Males, der als Tänzer am Staatsballett Berlin engagiert ist, und aktuell gleich zwei der schwersten Knieverletzungen auskuriert;
Anneli Chasemore, Tänzerin und Spezialistin für Verletzungsprävention, die am Staatsballett Tanzende in Heilungsprozessen begleitet und zu Folgen der Grenzüberschreitung berät;
Birgit Eusterschulte, die als Kunsthistorikerin Fragen des Reparierens und Erzählens von Gewalt durchzogener Vergangenheit und antikolonialer Perspektiven untersucht;
Elke Lehrenkrauss, die als Dokumentarfilmerin mit den ethischen Grenzen der mitunter gewaltvollen Bildproduktion von verletzlichen Körpern konfrontiert ist.
Konzeption und Moderation: Mariama Diagne
Die Reihe findet als Kooperation des Staatsballetts Berlin mit dem Laborformat Future Lab des SFB Intervenierende Künste statt.
Zeit & Ort
21.02.2024 | 19:30
Deutsche Oper, Rangfoyer, Bismarckstr. 35, 10627 Berlin
Weitere Informationen
Weiterer Termin:
15.05.2024 zum Begriff “Erinnerung”